Erfolgreiche übertragende Sanierung

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KMU-Berater Tim Grabbe beschreibt den Ablauf einer übertragenden Sanierung in der Insolvenz.
Grabbe – KMU-Berater

KMU-Berater Tim Grabbe beschreibt den Ablauf einer übertragenden Sanierung in der Insolvenz.

Ausgangslage

Eine GmbH stellt im Mai einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO).
Das Amtsgericht ordnet eine (schwache) vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt  an (1). Der vorläufige Insolvenzverwalter führt den Geschäftsbetrieb vollumfänglich fort. Die Geschäftsführung der GmbH möchte den Geschäftsbetrieb „übernehmen“.

Kurzinformationen zum Unternehmen

  • Das Unternehmen ist hauptsächlich im Bereich Steuerungsanlagenbau (Planung und Konstruktion) tätig
  • 4 deutschlandweite Niederlassungen (2x Bereich Nord=Norddeutschland, 2x Bereich Süd=Süddeutschland), Hauptsitz und Produktionsstätte im Süden
  • Gesamtleistung im Jahr vor Antragstellung 7 Mio. €, im Jahr davor 13 Mio. €
  • EBITDA /EBT im Jahr vor Antragstellung -1,2 Mio. €/-1,3 Mio. €, im Jahr davor +268 T€/+123 T€
  • 75 Arbeitnehmer bei Antragstellung (52 Nord, 23 Süd), 2 Geschäftsführer, monatlicher Gehaltsaufwand Arbeitnehmer 350 T€
  • Gehälter für Mai rückständig, Buchhaltung laufend
  • Immobilie (Hauptsitz) im Eigentum der Geschäftsführer
  • Austritt des Fremdkapitalgebers ursächlich für Zahlungsunfähigkeit, Wirtschaftskrise führte zur Schieflage des bisher rentablen Unternehmens
  • Es bestehen personelle Differenzen und Streitigkeiten zwischen Geschäftsführung und Bereich Nord. Es haben bereits Auftragsverschiebungen in eine neue Gesellschaft (gegründet durch Mitarbeiter des Bereiches Nord) stattgefunden.

Ablauf des Insolvenzantragsverfahrens für den Berater

Der KMU-Fachberater Sanierung® begleitete die Fortführung des Geschäftsbetriebes ab Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens (Mai). Insbesondere wurde ein „kleines Controlling“ mit Bestell- und Rechnungsfreigabewesen eingerichtet. Auch die Abstimmung mit Lieferanten und die Überwachung und Planung von Auftrags-, Projekt und Liquiditätslage gehörten zum Aufgabenbereich des Beraters.
Es erfolgten mehrmals pro Woche Termine mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter und der Geschäftsführung des Unternehmens.
Zusätzlich zum Controlling wurde ein Kurzgutachten (Liquiditätsplanung monatlich) mit Fortführungsprognose für das vorläufige und eröffnete Insolvenzverfahren erarbeitet. Dieses ist Basis zur Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte der Arbeitnehmer. Bedingung für die Vorfinanzierung ist die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Diese fordert den Erhalt des wesentlichen Teils der Arbeitsplätze (>50%) sowie eine positive Entwicklungsprognose  des Unternehmens (2).
Die Agentur stimmt der Vorfinanzierung (große Insolvenzgeldvorfinanzierung) für die Monate Mai, Juni und Juli zu. Folge der Vorfinanzierung: Die Arbeitnehmer erhalten zu den vereinbarten Terminen ihren Lohn/ihr Gehalt (3).
Im vorl. Insolvenzverfahren (Mai bis Juli) konnte ein Umsatz von 2,7 Mio. € zzgl. halbfertiger Arbeiten erzielt werden. Alle Standorte wurden vollumfänglich fortgeführt.

Ablauf ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Beratersicht

  • Eröffnung des Insolvenzverfahrens im August
  • Beibehaltung des eingerichteten kleinen Controllings
  • Auftraggeber und Lieferanten bleiben dem Unternehmen treu
  • Größere Neuaufträge werden allerdings von Auftraggeberseite zurückgehalten (Unsicherheiten bezüglich Gewährleistungen, Fertigstellung, Weiterbestehen des Unternehmens)
  • Mindestens 1x Woche „jour fix“ mit der Geschäftsleitung/Insolvenzverwaltung/Berater
  • Laufende Information der Mitarbeiter durch Betriebsversammlungen
  • Deutliche Reduzierung der Dauerschuldverhältnisse mit Insolvenzeröffnung (§ 103 InsO, Ablehnung der Vertragsfortsetzung mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter)
  • Einer der zwei Standorte Süd wurde in Ermangelung einer auskömmlichen Auftragslage und Demotivation der Mitarbeiter geschlossen. Den Mitarbeitern wurden mit unwiderruflicher Freistellung mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt (Liquiditätsvorteil für die Insolvenzmasse, da Lohn/Gehalt vorerst durch die Bundesagentur übernommen wird). Die Mitarbeiter haben in der bereits vorinsolvenzlich gegründeten Gesellschaft ihre Tätigkeit fortgesetzt.
  • Abschluss des Asset Kaufvertrages mit Übernahme der Vermögenswerte zu Ende November
  • 47 Arbeitsverhältnisse gingen auf die neue Gesellschaft über
  • Das Prozessrisiko im Arbeitnehmerbereich (einzelne Arbeitnehmer sollten nach Wunsch des Erwerbers noch vor Übernahme gekündigt werden) wurde 50/50 zwischen Insolvenzmasse und erwerbender Gesellschaft geteilt
  • Umsatz August bis Ende November 2,7 Mio. € zzgl. halbfertiger Arbeiten

Ergebnis

  • Insolvenzverwalter führt den Geschäftsbetrieb im vorläufigen Insolvenzverfahren für 3, im eröffneten Insolvenzverfahren für 4 Monate fort
  • Assets und Arbeitsverhältnisse werden von einer neuen Gesellschaft übernommen. Verbindlichkeiten verbleiben bei der Insolvenzmasse
  • Die neue Gesellschaft ist noch heute erfolgreich am Markt tätig
  • 47 von 52 Arbeitsplätze (90%) des Bereiches Nord konnten erhalten werden

Erkenntnisse

  • Ein Insolvenzverfahren bedeutet nicht das Ende/die Zerschlagung eines Unternehmens
  • Eine enge Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung, Insolvenzverwalter und betriebswirtschaftlichem Berater ist für eine Unternehmensfortführug in der Insolvenz unabdingbar
  • Die Möglichkeiten des Insolvenzrechtes können zur Reorganisation des Unternehmens genutzt werden

Fußnoten:

(1) Rechtshandlungen werden erst durch Zustimmung des vorl. Insolvenzverwalters wirksam.

(2) Die Agentur fordert kein Sanierungsgutachten nach IDW/KFS oder eine Fortbestehensprognose (IDW PS 800). Es muss vielmehr ein Weg aufgezeigt werden, dass der Geschäftsbetrieb verlustfrei unter Verantwortung des Insolvenzverwalters fortgeführt werden kann. Ggfls. können auch Verluste bei einer aussichtsreichen und kurzfristigen Lösung (übertragende Sanierung, Insolvenzplan) in Kauf genommen werden. Zumindest ein letter of intent sollte vorliegen.

(3) Ohne Vorfinanzierung wären die Gehaltszahlungen für Mai, Juni und Juli erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (August/September, nach Bearbeitungszeit der Agentur) erfolgt.