Änderung der Rechtsprechung bei Nachträgen

Änderung der Rechtsprechung bei Nachträgen
Es gibt vielfältige Gründe für Nachträge bei Bauunternehmen und Bauhandwerksbetrieben. Die neue Rechtslage verbessert die Lage der Auftragnehmer.

Verschiebung der Gewichte zugunsten der ausführenden Bauunternehmen?

Bei den Regelungen des VOB/B und des BGB klafften Theorie und Praxis bisher häufig auseinander. Den Mehraufwand bei Doppelplanungen durch geänderte Pläne oder bei gestörtem Bauablauf abzubilden ist schwierig und aufwändig. Und es war mit weiteren Folgeproblemen zu rechnen. Lesen Sie in diesem Beitrag, welche Lösungsansätze es gibt und was die neue Rechtsprechung bei Nachträgen für die Auftragnehmer verändert.

1. Einleitung

Das Thema „Nachträge“ beschäftigt seit vielen Jahren die Gerichte in Deutschland. Die Gründe, die bei Bauunternehmen und Bauhandwerksbetrieben zu Nachträgen führen, sind vielfältig.

Das Thema bereitet vielen Unternehmen Kopfzerbrechen. Dies gilt sowohl für die Bilanzierung als auch die Liquidität. Daher sollten Unternehmens- und Steuerberater zumindest die grundlegenden Probleme kennen, die sich in der Praxis ergeben, weil sonst keine sachgerechte Beratung möglich ist.

2. Nachträge in Bauunternehmen

Im Normalfall schließen Auftraggeber und Auftragnehmer einen Vertrag ab, in welchem die Leistungen, die vom Auftragnehmer zu erbringen sind, genau umschrieben sein sollen. Unklarheiten gehen grundsätzlich zu Lasten des Auftraggebers.

In der Praxis kommt es aus vielfältigen Gründen zu Leistungsänderungen. Dies können Mengenabweichungen sein oder vor allem Veränderungen in der Leistung selbst sein.

2.1 Regelung in der VOB/B

Die grundsätzlichen Regelungen zur Preisanpassung in Deutschland sind vor allem in § 2 VOB/B festgeschrieben. Danach besteht ein Anspruch auf Vergütungsanpassung, wenn sich die Leistung ändert.
Eine Besonderheit ist hier, dass der Auftraggeber ein Weisungsrecht besitzt. Er kann also einseitig anordnen, dass die Leistung verändert wird und der Auftragnehmer muss grundsätzlich dieser Anordnung Folge leisten.

Als Ausgleich hat der Auftragnehmer einen Anspruch auf eine angepasste Vergütung, worauf er den Auftraggeber im Vorfeld aufmerksam machen muss. Im Anschluss sollen sich die Parteien dann vor der Ausführung auf eine neue Vergütungsbasis einigen. Dies wird aber in der Praxis oftmals nicht gelebt.

2.2 Regelungen im BGB

Erst seit 2018 gibt es hier eine eigene Regelung im § 650b BGB. Diese ist grundsätzlich ähnlich, aber eben nicht gleich: Auch hier hat der Auftraggeber ein Änderungsrecht. Grundsätzlich ist dann der Auftragnehmer verpflichtet, ein Angebot zu erstellen. Anschließend sollen sich die Parteien innerhalb von 30 Tagen einigen.

Erst wenn diese Einigung nicht zustande gekommen ist, darf der Auftraggeber die Ausführung der geänderten Leistung einseitig schriftlich anordnen. Hier hat aber der Auftragnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung von 80% der Nachtragssumme.

Doppelplanungen durch geänderte Pläne

Gelebte Praxis ist aber, dass parallel zum aktiven Baugeschehen, also wenn das Bauvorhaben schon begonnen hat, immer noch Ausführungsplanungen auf der Auftraggeberseite erstellt und erstellte Pläne geändert werden, wodurch es zu Änderungen in den einzelnen Gewerken kommt.

Aus Sicht des ausführenden Unternehmens kommt es daher häufig zu „Doppelplanungen“. Werden diese Änderungen in einem frühen Stadium festgestellt, werden sie häufig nicht abgerechnet, sondern sind eine Art „Serviceleistung“ des Unternehmens.

Spätestens wenn es auf der Baustelle zu Änderungen kommt, weil die Pläne fehlerhaft waren oder sich an den Schnittstellen herausstellt, dass diese fehlerhaft sind, werden die ausführenden Unternehmen die Mehrkosten geltend machen.

Mehraufwand durch gestörten Bauablauf

Auch der eigentliche Bauablauf, wo der Auftragnehmer im Normalfall in der Kalkulationsphase davon ausgeht, dass er „zügig“ seine Arbeiten erledigen kann, ist manchmal gestört. Ursächlich ist hier häufig, dass die Vorgewerke noch nicht so weit sind, dass der Auftragnehmer tätig werden kann. Dies bedeutet, dass er seine Montagekapazitäten anderweitig einsetzen muss oder eben Leerkosten produziert. Dieser Mehraufwand ist vom Grundsatz her vergütungspflichtig. In der Praxis sind Verschiebungen um bis zu einem Jahr nicht selten.

2.3 Anforderungen der Rechtsprechung

Die Anforderungen der Rechtsprechung in der Darstellung der Nachträge sind hoch. Der Nachweis, welche finanziellen Auswirkungen eine verspätete zur Verfügungstellung von Plänen hat, ist in der Praxis schwierig und aufwändig.

Wenn das ausführende Unternehmen über Aufzeichnungen verfügt, für welchen Auftrag jeder Mitarbeiter gearbeitet hat, so ist dies in der betrieblichen Praxis schon recht fortschrittlich. Wie sollen die Kosten eines zusätzlichen Aufmaßes auf der Baustelle erfasst und abgegrenzt werden, wenn die Ergebnisse anschließend wieder in die Pläne eingefügt werden müssen? In der Praxis haben sich hier Lösungsansätze entwickelt, die zu mehr oder weniger befriedigenden Ansätzen führen.

3. Folgeprobleme für die betriebswirtschaftliche Praxis

3.1 Grundsätzliche Darstellung

Die grundsätzlichen Probleme, ob und wie mit der Bewertung umzugehen ist, wurden bereits im Beitrag “Bewertung von halbfertigen Arbeiten in Kleinunternehmen der Baubranche” beschrieben (vgl. Broeckmann und Schader, NWB-BB 4-2018). Möglicherweise noch wichtiger ist die Auswirkung auf die Liquidität für die Unternehmen.

Vielfach ist es so, dass der Auftraggeber der Meinung ist, dass die (vermeintliche) Leistung schon im eigentlichen Auftrag beauftragt ist und daher kein Mehrvergütungsanspruch besteht. Dann gibt es Nachträge, wo der Auftraggeber diese vom Grundsatz her anerkennt, aber die Höhe für übertrieben hält.
Dazu ist es gelebte Praxis, dass Nachträge häufig nicht und sofort vom Auftraggeber genehmigt werden und von daher zumindest keine unmittelbare Zahlung erfolgt.

3.2 Bewertungsprobleme

Nachträge im Bauablauf führen zunächst zu einem Mehrvergütungsanspruch des Auftragnehmers. Damit sollen die Mehrkosten abgegolten werden. Dazu kommt ein angemessener Zuschlag für die allgemeine Verwaltung sowie für Wagnis und Gewinn.

Bewertungsbasis war bisher die sogenannte Urkalkulation. Dazu hinterlegt das ausführende Unternehmen bei seinem Auftraggeber die Ermittlung der Einheitspreise sowie die Zuschläge, die er kalkuliert hat.

Basis waren damit die Sollwerte und nicht die tatsächlichen Vergaben. Diese Überlegungen waren anerkannte Rechtsprechung im Rahmen der VOB/B. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass ein guter Preis ein guter Preis bleiben solle und ein schlechter Preis ein schlechter Preis bleiben soll.

Das sagt die neue Rechtsprechung

Nach neuer Rechtsprechung sollen die Istkosten zuzüglich angemessener Gemeinkosten und Wagnis und Gewinn zugrunde zu legen, vgl. BGH NZBau 2020, 84.

Die Überlegungen der Gerichte gehen eher dahin, dass eine Regelungslücke bestünde und wie diese von „fairen Partnern“ geschlossen worden wäre, wenn sie bereits bei Vertragsabschluss bekannt gewesen wäre.

Diese neue Interpretation deckt sich auch mit den seit 2018 geltenden gesetzlichen Regelungen, wo nach § 650c. Abs. 1 BGB der tatsächliche Aufwand vergütet werden soll. Nach Abs. 2. darf der Unternehmer auf die Urkalkulation zurückgreifen.

Durch die Istkosten werden „Mondpreise“ sicherlich zukünftig schwerer durchzusetzen sein. Umgekehrt werden die Unternehmen nicht gezwungen sein, bei Nachträgen auch noch zusätzliche Verluste in Kauf zu nehmen.

Viel schwerer für die ausführenden Unternehmen wiegt es aber häufig, dass es über lange Zeit ungewiss ist bzw. sein kann, ob ein Nachtrag überhaupt anerkannt wird. Dazu kommt, dass ein Teil der Auftraggeber hier auch noch auf Zeit spielte.

3.3 Umgang mit Nachtragskürzungen

Möglicherweise ist dann absehbar, dass der Auftraggeber „zahlungsunwillig“ ist. So kommt es in der betrieblichen Praxis häufig vor, dass er nur eine minimale Summe anbietet.

Das Unternehmen steht also spätestens bei der Bilanzerstellung zunächst vor der Frage, ob es

  1. das geringe Angebot des Auftraggebers akzeptiert oder
  2. es auf ein Gerichtsverfahren ankommen lässt.

Die praktische Erfahrung zeigt hier oftmals, dass auch die Gerichte dazu neigen, dass ein „Kompromiss“ gesucht wird, so dass hier oftmals vielleicht 50% realisierbar sind.

Weitere Aufwendungen für den Auftragnehmer

Dem stehen aber weitere Aufwendungen gegenüber. Hier sind neben Gerichts- und Rechtsanwaltskosten vor allem die Kosten der internen Aufbereitung der Unterlagen zu nennen. In den Fällen, wo dann ein Vergleich geschlossen wird, wird auch häufig vereinbart, dass jede Partei die eigenen Kosten trägt. Darüber hinaus müsste die Dauer der Prozesse mitberücksichtigt werden. Hier kann sich ein Prozess oftmals über mehrere Jahre hinziehen.

Tendenz zu faulen Kompromissen

Daher besteht in der Praxis bisher die Tendenz, „faule Kompromisse“ zu schließen. Diese waren dem Umstand geschuldet, dass keine Möglichkeit bestand, kurzfristig zu einer reellen Einschätzung mit dem Auftraggeber zu kommen.

Dies führte auch zu bilanziellen Problemen, weil die Erfolgsaussichten eines Prozesses bewertet werden müssen und die Kosten gegebenenfalls mit einfließen. Viele Auftragnehmer waren daher erpressbar.

3.4 Liquiditätsprobleme

Verschärft wird die Situation in vielen Unternehmen noch dadurch, dass praktisch keine Möglichkeit bestand, dass die Nachträge auch liquiditätswirksam vereinnahmt wurden. Das Unternehmen musste also im Extremfall bis zu einem positiven Urteil auf die Liquidität verzichten, die Kosten des Nachtrags vorfinanzieren und dann weitere Kosten für Gerichte und Rechtsanwälte verauslagen. Dazu kommen die nicht unbedeutenden internen Kosten, die durch die Vorbereitung eines Verfahrens verursacht wurden.

In Einzelfällen kam noch ein Bonitätsproblem auf der Auftraggeberseite hinzu, da aus Sicht der Banken und Kreditversicherer die Bilanz sich durch die eingetretenen Verluste oder nicht realisierten Gewinne verschlechtert und die Liquidität tendenziell sich ebenfalls negativer darstellt.

Auch diese Faktoren erklären zu einem wesentlichen Teil die Bereitschaft der Unternehmen, sich auf Kompromisse mit dem Auftraggeber einzulassen.

4. Die neue Rechtslage

Den Kennern der Materie wurde aus den beschriebenen Sachverhalten deutlich, dass die Komplexität des Themas „Nachträge“ nur sehr allgemein beschrieben werden konnte. Auch im Folgenden kann nur allgemein auf die neuen Entwicklungen eingegangen werden. Aber es ergeben sich neue Möglichkeiten für die Auftragnehmer.

Frist als Druckmittel

Die in § 650b Abs. 2 BGB kodifizierte Frist von 30 Tagen ergibt zumindest aus der Sicht der Auftragnehmer ein zusätzliches Druckmittel zu einer zeitnahen Einigung. Gemäß § 650b Abs. 1 muss der Auftraggeber zunächst sein Änderungsbegehren mitteilen, danach erstellt der Unternehmer sein Angebot und dann versuchen sich die Vertragsparteien zu einigen.

Geht man davon aus, dass gerade bei größeren Änderungsarbeiten die Frist zur Erstellung des Nachtragsangebots auch zumutbar sein muss, so sind Zeitfenster von einer bis zwei Wochen sicherlich eher als Untergrenze zu betrachten. Das Bauvorhaben kann sich hier also leicht um bis zu sechs Wochen verzögern. Dies ist gerade bei größeren Bauvorhaben eine relativ lange Zeitspanne.

Mit Einschränkung ist es daher wahrscheinlich, dass die Kompromissbereitschaft auf Auftraggeberseite deutlich ansteigt, wenn man das zeitliche Argument mit in die Waagschale wirft. Allerdings ist zu beachten, dass dies nur für Verträge gilt, wo nicht vorrangig die VOB/B vereinbart wurde. Bei der VOB/B bleibt es zunächst beim Anordnungsrecht des Auftraggebers.

Zahlungen waren bisher kaum zu erzwingen

Ein wesentliches Problem in der Vergangenheit bestand aus der Sicht der Auftragnehmer darin, dass eine Zahlung vom Auftraggeber kaum zu erzwingen war. Es gab zwar die Möglichkeit sich vor einem Bonitätsverfall zu schützen, so z. B. über § 650e und § 650f BGB, wo der Handwerker entweder eine Sicherungshypothek eintragen lässt oder aber eine Bürgschaft von seinem Auftraggeber verlangen kann. Aber dies führte nicht zu einem unmittelbaren Liquiditätszufluss und es ist im Verhältnis zur öffentlichen Hand nicht anwendbar.

Hier hat sich die Rechtsprechung deutlich geändert. So liegt jetzt eine erste gerichtliche Entscheidung vor, die hier eine Regelungslücke erkannt hat. Danach sind einstweilige Verfügungen auch bei Nachträgen, wo die VOB/B vereinbart wurde, anwendbar, vgl. 0743 KG: 21 U 1098/20 vom 02.03.2021. Der Auftragnehmer kann also in diesem Fall auch Zahlungen durchsetzen.

Verhandlungsposition verschiebt sich

Daher verschiebt sich die Verhandlungsposition deutlich. Aus Sicht des Auftraggebers muss er – auch wenn er den Anspruch für unberechtigt hält – zunächst zahlen. Hier entsteht auf Auftraggeberseite in der Hierarchie sicherlich zunächst ein erheblicher Erklärungsbedarf, dass man zahlen muss. Gleichzeitig besteht das Bonitätsrisiko auf einmal auf Seiten des Auftraggebers, das der Auftragnehmer möglicherweise nicht überlebt. Auch psychologisch dürfte sich die Ausgangslage verändern, weil der Auftraggeber über eine eventuelle Rückerstattung sprechen muss.

Kann der Auftragnehmer die Zahlungen durchsetzen, so dürften zukünftig zumindest seine Herstellkosten bezahlt werden. Die Wahrscheinlichkeit aufgrund von strittigen Nachträgen insolvent zu werden, dürfte sich für die Unternehmen deutlich reduzieren.

Allerdings setzt dies gerechtfertigte Nachträge voraus. Denn sollte sich im Nachgang herausstellen, dass die Nachträge nicht gerechtfertigt waren, so ist der Betrag zu erstatten und zu verzinsen, § 650c Abs. 3 BGB.

Werner Broeckmann KMU-Berater
Autor: KMU-Berater Werner Broeckmann