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Neufassung des Nachtragsrechts
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ToggleEs gibt viele Gründe, die bei Bauunternehmen und Bauhandwerksbetrieben zu Nachträgen führen. Das Thema „Nachträge“ beschäftigt seit vielen Jahren die Gerichte in Deutschland. Im Folgenden sollen einige Änderungen, die sich durch das neue Baurecht und die jüngere Rechtsprechung ergeben haben, aus betriebswirtschaftlicher Perspektive beleuchtet werden.
Die Unternehmer müssen zumindest die grundlegenden Probleme, die sich in der Praxis ergeben, kennen. Der folgende Artikel greift die Sachverhalte aus der Sicht der Auftragnehmer auf. Aus Sicht der Auftraggeber stellt sich in der Regel das umgekehrte Problem. Dort wo der Auftragnehmer einen Nachtrag anmeldet, und mehr Geld haben möchte, führt es beim Auftraggeber zu höheren Kosten.
1. Ursachen für Nachträge
Im Normalfall schließen Auftraggeber und Auftragnehmer einen Vertrag ab, wo die Leistungen, die vom Auftragnehmer zu erbringen sind, genau beschrieben sind. Unklarheiten gehen grundsätzlich zu Lasten des Auftraggebers.
In der Praxis kommt es aus vielfältigen Gründen zu Leistungsänderungen. Dies können Mengenabweichungen sein oder vor allem Veränderungen in der Leistung selbst sein.
1.1 Regelung in der VOB/B
Die grundsätzlichen Regelungen zur Preisanpassung sind vor allem in § 2 VOB/B in Deutschland festgeschrieben. Danach besteht ein Anspruch auf Vergütungsanpassung, wenn sich die Leistung ändert. Eine Besonderheit ist hier, dass der Auftraggeber ein Weisungsrecht besitzt. Er kann also einseitig bestimmen, dass die Leistung verändert wird und der Auftragnehmer muss grundsätzlich dieser Anordnung Folge leisten.
Dafür hat der Auftragnehmer einen Anspruch auf eine angepasste Vergütung, worauf er den Auftraggeber im Vorfeld aufmerksam machen muss.
Wenn der Auftraggeber eine geänderte Leistung verlangt, sollten sich die Parteien dann vor der Ausführung auf eine neue Vergütungsbasis einigen. Dies wird aber in der Praxis oftmals nicht gelebt.
1.2 Regelungen im BGB
Erst seit 2018 gibt es hier eine eigene Regelung im § 650b BGB. Diese ist grundsätzlich ähnlich:
Auch hier hat der Auftraggeber ein Änderungsrecht. Grundsätzlich ist dann der Auftragnehmer verpflichtet, ein Angebot zu erstellen. Anschließend sollen sich die Parteien innerhalb von 30 Tagen einigen.
Erst wenn diese Einigung nicht zustande gekommen ist, darf der Auftraggeber die Ausführung der geänderten Leistung einseitig schriftlich anordnen. Hier hat aber der Auftragnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung von 80% der (angemessenen) Nachtragssumme.
1.3 Ursachen für Nachträge in der betrieblichen Praxis
Aus der Sicht der ausführenden Unternehmen ist die Praxis der Baustellenführung in vielerlei Hinsicht unbefriedigend. Gelebte Praxis ist, dass parallel zum aktiven Baugeschehen, also wenn das Bauvorhaben schon begonnen hat, immer noch Änderungen von der Auftraggeberseite gewünscht werden und erstellte Pläne geändert werden, wodurch es zu Änderungen in den einzelnen Gewerken kommt.
Werden diese Änderungen in einem frühen Stadium festgestellt, werden sie häufig nicht abgerechnet, sondern sind eine Art „Serviceleistung“ des Unternehmens. Spätestens wenn es auf der Baustelle zu Änderungen kommt, weil die Pläne fehlerhaft waren oder sich an den Schnittstellen herausstellt, dass diese fehlerhaft sind, werden die ausführenden Unternehmen die Mehrkosten geltend machen.
Verzögerungen und Mehrkostenansprüche
Erschwerend kommt oftmals hinzu, dass sich der Bauablauf deutlich verzögert. So kann man häufig – in unterschiedlichen Gewerken – erleben, dass nach Auftragsvergabe ein Baubeginn auf der Baustelle erst innerhalb von zwei bis drei Monaten erwartet wird.
Weitere Probleme können sich auf vielfältige Art und Weise ergeben. Wenn beispielsweise das Vorgewerk nicht sauber gearbeitet hat, muss oftmals „angepasst“ werden, so dass sich weitere Mehrkostenansprüche (Nachträge) ergeben können.
1.4 Probleme aus den Anforderungen der Rechtsprechung
Die Anforderungen der Rechtsprechung in der Darstellung der Nachträge sind hoch. So ist es sicherlich häufig noch möglich, dass die Zeit einer Behinderung, also wo ein Arbeiten auf der Baustelle nicht möglich ist, vernünftig darzustellen. Ein mögliches „nicht-wirtschaftliches Arbeiten“ ist hier schon schwieriger.
Der Nachweis, welche finanziellen Auswirkungen es hat, wenn Pläne verspätet zur Verfügung gestellt werden, ist dagegen in der Praxis schwierig und aufwändig. Die ursprüngliche Kalkulation mit einer optimiert geplanten Fertigung ist dann oft gar nicht mehr möglich.
Wenn das ausführende Unternehmen über Aufzeichnungen verfügt, für welchen Auftrag jeder Mitarbeiter gearbeitet hat, so ist dies in der betrieblichen Praxis schon recht fortschrittlich. Wie aber soll belegt werden, dass diese Arbeitszeit ein Mehraufwand gegenüber der ursprünglichen Planung und der angebotenen Leistung ist? Wie sollen die Kosten eines zusätzlichen Aufmaßes auf der Baustelle erfasst und abgegrenzt werden, wenn die Ergebnisse anschließend wieder in die Pläne eingefügt werden müssen? In der Praxis haben sich hier Lösungsansätze entwickelt, die zu mehr oder weniger befriedigenden Ansätzen führen.
2. Probleme für die Praxis
2.1 Betriebswirtschaftliche Probleme
Im Folgenden soll vor allem auf die Themen Bewertung in Zwischen- und Jahresabschlüssen und die Liquiditätsauswirkungen eingegangen werden. Auf die grundsätzlichen Probleme, ob und wie mit der Bewertung umzugehen ist, soll hier nicht eingegangen werden. Möglicherweise noch wichtiger ist die Auswirkung auf die Liquidität für die Unternehmen.
Beispiele für die Anerkennung von Nachträgen und ihre Auswirkung auf die Liquidität:
- Es gibt Nachträge, die sofort und dem Grunde und der Höhe nach anerkannt werden. Diese sind unproblematisch, da sich nur die Auftragssumme ändert.
- Vielfach ist es aber so, dass der Auftraggeber der Meinung ist, dass die (vermeintliche) Leistung schon im eigentlichen Auftrag beauftragt ist und daher kein Mehrvergütungsanspruch besteht.
- Dann gibt es Nachträge, wo der Auftraggeber diese vom Grundsatz her anerkennt, aber die Höhe für übertrieben hält.
- Dazu kommt es häufig vor, dass Nachträge nicht oder sofort vom Auftraggeber genehmigt werden und von daher zumindest keine unmittelbare Zahlung erfolgt.
2.2 Bewertungsprobleme im Jahresabschluss
Nachträge im Bauablauf führen zunächst zu einem Mehrvergütungsanspruch des Auftragnehmers. Damit sollen die Mehrkosten abgegolten werden. Dazu kommt ein angemessener Zuschlag für die allgemeine Verwaltung sowie für Wagnis und Gewinn.
Bewertung nach alter Rechtsprechung
Bewertungsbasis war bisher die so genannte Urkalkulation. Dazu hinterlegt das ausführende Unternehmen bei seinem Auftraggeber die Ermittlung der Einheitspreise sowie die Zuschläge, die er kalkuliert hat.
Basis waren damit die Sollwerte und nicht die tatsächlichen Vergaben. Diese Überlegungen waren anerkannte Rechtsprechung im Rahmen der VOB/B. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass ein guter Preis ein guter Preis bleiben solle und ein schlechter Preis ein schlechter Preis bleiben soll.
Bewertung nach neuer Rechtsprechung
Nach neuer Rechtsprechung sind die Istkosten zuzüglich angemessener Gemeinkosten und Wagnis und Gewinn zugrunde zu legen, vgl. BGH NZBau 2020, 84.
Die Überlegungen der Gerichte gehen eher dahin, dass eine Regelungslücke bestünde und wie diese von „fairen Partnern“ geschlossen worden wäre, wenn sie bereits bei Vertragsabschluss bekannt gewesen wäre.
Interessanterweise liegen dieser neuen Rechtsprechung Sachverhalte zugrunde, wo die ausführenden Unternehmen Glück hatten und wohl relativ hohe Einheitspreise zugrunde lagen und nun „nur“ noch Marktpreise gültig sein sollen.
Diese neue Interpretation deckt sich auch mit den seit 2018 geltenden gesetzlichen Regelungen, wo nach § 650c. Abs. 1 BGB der tatsächliche Aufwand vergütet werden soll. Nach Abs. 2. darf der Unternehmer auf die Urkalkulation zurückgreifen.
Durch die Istkosten werden „Mondpreise“ sicherlich zukünftig schwerer durchzusetzen sein. Umgekehrt werden die Unternehmen nicht gezwungen sein, bei Nachträgen auch noch zusätzliche Verluste in Kauf zu nehmen.
Viel schwerer für die ausführenden Unternehmen wiegt es aber häufig, dass es über lange Zeit ungewiss ist bzw. sein kann, ob ein Nachtrag überhaupt anerkannt wird. Dazu kommt, dass ein Teil der Auftraggeber hier auch noch auf Zeit spielt.
2.3 Umgang mit Nachtragskürzungen
Daraus ergibt sich die Frage, ob und wie mit Nachtragskürzungen umzugehen ist:
Möglicherweise ist dann absehbar, dass der Auftraggeber „zahlungsunwillig“ ist. So kommt es in der Praxis häufig vor, dass er nur eine minimale Summe anbietet.
Das Unternehmen steht also spätestens bei der Bilanzerstellung zunächst vor der Frage, ob es
- das geringe Angebot des Auftraggebers akzeptiert oder
- es auf ein Gerichtsverfahren ankommen lässt.
Die praktische Erfahrung zeigt hier oftmals, dass auch die Gerichte dazu neigen, dass ein „Kompromiss“ gesucht wird, so dass hier oftmals vielleicht 50% realisierbar sind.
Bei der Risikobetrachtung ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass weitere Aufwendungen anfallen. Hier sind neben Gerichts- und Rechtsanwaltskosten vor allem die Kosten der internen Aufbereitung der Unterlagen zu nennen. In den Fällen, wo dann ein Vergleich geschlossen wird, wird auch häufig vereinbart, dass jede Partei die eigenen Kosten trägt. Darüber hinaus müsste die Dauer der Prozesse mitberücksichtigt werden. Hier kann sich ein Prozess oftmals über mehrere Jahre hinziehen.
Daher besteht in der Praxis bisher die Tendenz Kompromisse zu schließen. Diese sind allein dem Umstand geschuldet, dass keine Möglichkeit bestand, kurzfristig zu einer reellen Einschätzung mit dem Auftraggeber zu kommen. Dies führte auch zu bilanziellen Problemen, weil die Erfolgsaussichten eines Prozesses bewertet werden müssen und die Kosten gegebenenfalls mit einfließen. Viele Auftragnehmer waren daher erpressbar.
2.3. Liquidität
Verschärft wurde die Situation in vielen Unternehmen noch dadurch, dass praktisch keine Möglichkeit bestand, dass die Nachträge auch liquiditätswirksam vereinnahmt wurden. Das Unternehmen musste also im Extremfall bis zu einem positiven Urteil auf die Liquidität verzichten, die Kosten des Nachtrags vorfinanzieren und dann weitere Kosten für Gerichte und Rechtsanwälte verauslagen. Dazu kommen die nicht unbedeutenden internen (Opportunitäts-)Kosten, die durch die Vorbereitung eines Verfahrens verursacht wurden.
Auch diese Faktoren erklären zu einem wesentlichen Teil die Bereitschaft der Unternehmen sich auf Kompromisse mit dem Auftraggeber einzulassen.
3. Die neue Rechtslage – Verbesserung der Situation?
Den Praktikern der Materie ist aus den beschriebenen Sachverhalten deutlich, dass die Komplexität des Themas „Nachträge“ nur sehr allgemein beschrieben wird.
3.1. Fristen zur Einigung
Die in § 650b Abs. 2 BGB kodifizierte Frist von 30 Tagen ergibt zumindest aus der Sicht der Auftragnehmer ein zusätzliches Druckmittel zu einer zeitnahen Einigung:
Gemäß § 650b Abs. 1 muss der Auftraggeber zunächst sein Änderungsbegehren mitteilen, danach erstellt der Unternehmer sein Angebot und dann versuchen sich die Vertragsparteien zu einigen. Geht man davon aus, dass gerade bei größeren Änderungsarbeiten die Frist zur Erstellung des Nachtragsangebots auch zumutbar sein muss, so sind hier weitere Zeitfenster (zum Beispiel 2 Wochen) zu berücksichtigen. Das Bauvorhaben kann sich hier also leicht um bis zu sechs Wochen verzögern. Dies ist für Bauvorhaben eine relativ lange Zeitspanne.
Es spricht einiges dafür, dass die Kompromissbereitschaft auf Auftraggeberseite deutlich ansteigt, wenn man das zeitliche Argument mit in die Waagschale wirft. Allerdings ist zu beachten, dass dies nur für Verträge gilt, wo nicht vorrangig die VOB/B vereinbart wurde. Bei der VOB/B bleibt es zunächst beim Anordnungsrecht des Auftraggebers.
3.2. Zahlungen für Nachträge auch nach der VOB/B
Ein wichtiges Problem war in der Vergangenheit aus der Sicht der Auftragnehmer darin, dass eine Zahlung vom Auftraggeber kaum zu erzwingen war.
Es gab zwar die Möglichkeit sich vor einem Bonitätsverfall zu schützen, so z. B. über § 650e und § 650f BGB, wo der Handwerker entweder eine Sicherungshypothek eintragen lässt oder aber eine Bürgschaft von seinem Auftraggeber verlangen kann. Aber dies führte nicht zu einem unmittelbaren Liquiditätszufluss und es ist im Verhältnis zur öffentlichen Hand nicht anwendbar.
Hier hat sich die Rechtsprechung nun geändert. So liegt jetzt eine erste gerichtliche Entscheidung vor, die hier eine Regelungslücke erkannt hat. Danach sind einstweilige Verfügungen auch bei Nachträgen, wo die VOB/B vereinbart wurde, anwendbar, vgl. 0743 KG: 21 U 1098/20 vom 02.03.2021. Der Auftragnehmer kann also in diesem Fall auch Zahlungen durchsetzen. Der Auftragnehmer hat nämlich jetzt einen Anspruch auf 80% der geltend gemachten (angemessenen) Vergütung.
Verhandlungsposition verschiebt sich
Dadurch verschiebt sich die Verhandlungsposition deutlich zu Gunsten des Auftragnehmers. Der Auftraggeber muss – auch wenn er den Anspruch für unberechtigt hält – zunächst zahlen. Hier entsteht auf Auftraggeberseite sicherlich zunächst ein erheblicher Erklärungsbedarf, dass man zahlen muss. Gleichzeitig besteht das Bonitätsrisiko auf einmal auf Seiten des Auftraggebers, dass der Auftragnehmer möglicherweise nicht überlebt.
Auch psychologisch dürfte sich die Ausgangslage verändern, weil der Auftraggeber über eine eventuelle Rückerstattung sprechen muss.
Die neue Rechtsprechung sorgt dafür, dass beide Seiten ein verstärktes Interesse an einer sachgerechten Lösung haben dürften. Dies könnte eine entscheidende Verbesserung aus der Sicht der Auftragnehmer sein.
3.3. Liquiditätsauswirkungen
Kann der Auftragnehmer die Zahlungen durchsetzen, so dürften zukünftig zumindest seine Herstellkosten bezahlt werden. Die Wahrscheinlichkeit aufgrund von strittigen Nachträgen insolvent zu werden, dürfte sich für die Unternehmen deutlich reduzieren.